"Werwolf"-Syndrom beim Hund

Dr. med. vet. P. Müller • January 16, 2025

BEN, American Staffordshire Terrier, männlich, 1 1/2 Jahre alt


Ende November 2024 wird uns Ben als Notfall vorgestellt. Die Besitzerin berichtet, dass der Hund im Laufe des Morgens drei Anfälle erlitten hatte und sich dabei eine Kralle an der linken Hinterpfote ausgerissen hat.

Die Besitzerin erzählt, dass der Hund zu Hause urplötzlich wie wild zu bellen und heulen begonnen hatte, spontan Urin und Kot absetzte, sich unkontrolliert bewegte und nicht ansprechbar schien. Nach einigen Minuten besserte sich dieses Verhalten vorerst, nur um kurze Zeit später wieder aufzutreten.


Untersuch

Noch während des Gesprächs mit der Besitzerin erleidet der zuvor unauffällige Hund im Sprechzimmer einen weiteren Anfall: Er beginnt, unkontrolliert zu heulen und jaulen, zeigt einen stark angespannten Gesichtsausdruck mit panisch aufgerissenen Augen und setzt grosse Mengen Urin ab. Der ganze Muskulatur ist spastisch angespannt, der Hund ist aber stehfähig. Das Tier lässt sich auf keine Art und Weise beruhigen. Nach einigen Minuten flaut der Anfall ab; der Hund legt sich, sichtlich erschöpft, hin und hechelt. Kurze Zeit später ist ein körperlicher Untersuch möglich, welcher (inklusive der neurologischen Beurteilung) unauffällig ausfällt.

Der Anfall erfolgte dermassen spontan und vehement, dass der völlig perplexe Tierarzt nicht einmal dazu kam, die Episode zu filmen.


Die zuvor von uns noch nie beobachtete Symptomatik deutet auf ein neurologisches Problem hin, insbesondere Toxine wie psychoaktive Drogen (LSD, Ketamin) könnten ein solches panisches Verhalten allenfalls erklären. Zur Stabilisierung des Hundes ist eine Hospitalisation mit Rundumüberwachung nötig, weshalb wir die Notfalllinie des Tierspitals Bern zur Überweisung anrufen. Die diensthabende Tierärztin äussert am Telefon einen Verdacht: Seit kurzer Zeit seien europaweit ähnlich gelagerte Fälle aufgetreten; unter Neurologen werde als Ursache ein Toxin, welches sich in bestimmten Kauartikeln befindet, vermutet.

Ben wird ans Tierspital überwiesen; auf dem Weg nach Bern holt die Besitzerin zu Hause auch die Kauknochen, welche Ben (nicht aber die andere Hunde des Haushalts) zuvor tatsächlich erhalten hatte.


Weiterer Verlauf

An der Reception des Tierspitals erleidet der Hund einen weiteren Anfall. Im Spital wird der Hund untersucht und Blutwerte erhoben, welche aber weitgehend unauffällig sind. Ben wird hospitalisiert und erhält diverse beruhigende Medikamente sowie ein intravenöses Präparat, welches gegen allfällige Toxine wirksam sein kann. Während der Hospitalisation erleidet Ben keine weiteren Anfälle mehr, verhält sich normal und kann tags darauf wieder nach Hause. Die möglicherweise problematischen Kauknochen werden nicht mehr verabreicht und bis heute hat der Hund keine weiteren Anfälle mehr gezeigt.


Wissenschaftliches: Das "Werwolf"-Syndrom

Seit August 2024 wurden aus ganz Europa und der Schweiz Fälle berichtet, welche dem Symptomenbild von Ben sehr ähneln. Das Problem ist völlig neu, entsprechend war bei den ersten Fällen gänzlich unklar, was der Auslöser der Anfälle sein könnte. Allen Patienten gemeinsam scheint zu sein, dass sie zuvor Kauartikel der Marke "Barkoo" erhalten hatten. Entsprechend wird gegenwärtig untersucht, ob die entsprechenden Produkte tatsächlich Substanzen enthalten, welche diese Art Anfälle provozieren könnten. Die Tierärztliche Hochschule Hannover in Deutschland ist u.A. federführend in der Erforschung dieses Problems. Betroffene TierbesitzerInnen sind aufgerufen, den online verfügbare Fragebogen auszufüllen.

Die problematischen Produkte wurden inzwischen von den Onlinehändler (Zooplus und Bitiba) weitgehend aus dem Sortiment entfernt. Untenstehend eine Liste der englischen Food Safety Agency, welche möglicherweise problematische Produkte aufführt.

Positiv ist, dass das Syndrom zwar furchterregend, grösstenteils aber nicht tödlich verläuft - nach vorläufigen Erkenntnissen verschwinden die Symptome nach Absetzen der problematischen Futtermittel bei den allermeisten Patienten.

© Dr. med. vet. P. Müller / Lyssbachvet

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Im Laufe ihres Lebens hatte uns Madison schon einzelne Male wegen Magen-Darm-Beschwerden besucht - meist zeigte sie während der Episoden Durchfall, Erbrechen und verminderten Appetit, was sich aber unter medikamenteller Therapie jeweils schnell wieder legte. Diesen Sommer wird uns Madison vorgestellt, weil sie keinen Appetit mehr hat. Wenn die Hündin frisst, dann nur nach gutem Zureden durch die Besitzer oder wenn das Futter an anderen Orten oder zu anderen Zeiten vorgesetzt wird. Erbrechen zeigt der Hund nicht, auch der Kot ist unauffällig, beim Kauen zeigt Madison keine Schmerzen.
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