Nierendysplasie beim Hund, oder: Was Movie mit der Tour de France verbindet

Dr. med. vet. P. Müller • December 17, 2024

MOVIE, Labrador Retriever, weiblich, 2 Jahre alt


Schon im Alter von knapp 1 1/2 Jahren wurde bei Movie eine Nierenfunktionsstörung festgestellt. Abklärungen deuteten darauf hin, dass sich ihre Nieren wohl nicht korrekt entwickelt hatten (Nierendysplasie). Mit Nierenschonfutter und Medikamenten zur Reduktion des Blut-Phosphorgehaltes zeigte Movie aber bisher abgesehen von der erhöhten Trinkmenge trotz den hohen Nierenwerten eine gute Lebensqualität. Sie zeigte bisher auch keinen durch den Nierenschaden bedingten Bluthochdruck oder übermässigen Eiweissverlust im Urin.




Ein neues Problem taucht auf

Vor einiger Zeit wurde uns Movie erneut vorgestellt. Abgesehen von der grossen Trinkmenge geht es der Hündin immer noch gut, sie hat ihr Gewicht gehalten, ist munter und aktiv und zeigt einen gesunden Appetit. Die Besitzerin hat aber beobachtet, dass der Hund z.T. mehrfach täglich bei starker Bewegung (Aufregung, Freude, körperliche Belastung) zu torkeln beginnt und teilweise sogar umfällt.



Untersuch und Diagnose

Eine Untersuchung in Ruhe verläuft unauffällig; Herz, Kreislauf und auch der neurologische Untersuch sind unauffällig. Eine Blutuntersuchung zeigt aber, dass neben den stark erhöhten Nierenwerten eine weitere Auffälligkeit vorhanden ist: Der Hämatokrit (also der Blutgehalt an roten Blutkörperchen) ist stark erniedrigt - er ist bei Movie noch bei 14%, normalerweise sollte dieser Wert zwischen 35 und 60% liegen. Movie leidet also an einer Blutarmut, welche mit grösster Wahrscheinlichkeit für die beobachteten Bewegungsstörungen verantwortlich ist: Die roten Blutkörperchen sind verantwortlich für den Sauerstofftransport im Blut - hat es zuwenig davon, wird der Körper insbesondere unter Belastung ungenügend mit Sauerstoff versorgt.


Therapie und weiterer Verlauf

Movie erhält wöchentlich eine Injektion mit einem Hormon, welches die Blutkörperchenbildung im Knochenmark anregt. Einen guten Monat später untersuchen wir nochmals eine Blutprobe - Movie geht es viel besser, der Hämatokrit hat sich auf 32% gesteigert und liegt damit praktisch wieder im Normalbereich. Nun erhält Movie alle 3 Wochen eine Hormonspritze; in 2-3 Monaten werden wir mittels einer weiteren Blutprobe eruieren, ob dieses Intervall genügt, oder ob das Präparat häufiger injiiziert werden müsste, um den Blutkörperchengehalt stabil zu halten.


Wissenschaftliches

Wie beim Mensch steuert auch beim Hund das in den Nieren produzierte Hormon Erythropoetin (EPO) die Produktion von roten Blutkörperchen (Erythrozyten) im Knochenmark. Die Erythrozyten sind für den Transport des in der Lunge aufgenommenen Sauerstoffs zu den Zellen und den Abtransport von CO2 zurück in die Lungen verantwortlich. Wenn beispielsweise aufgrund eines Blutverlustes Erythrozyten verlorengegangen sind, stimuliert EPO deren Produktion, damit der Verlust kompensiert werden kann. Bei Aufenthalten in der Höhe, wo in der Atemluft weniger Sauerstoff vorhanden ist, wird die Produktion ebenfalls angeregt, um mit einer erhöhten Menge an "Transportern" den Sauerstoffbedarf der Zellen sicherzustellen. Dieser Effekt wird bei Ausdauerathleten beim Höhentraining ausgenutzt. Berüchtigt ist der verbotene Einsatz von EPO im Radsport: An der Tour de France 1998 ereignete sich der "Festina-Skandal", bei dem im Festina-Radsportteam (u.A. mit dem Schweizer Fahrer Alex Zülle) flächendeckendes Doping mit EPO nachgewiesen wurde. Durch den erhöhten Gehalt von roten Blutkörperchen hatten die dopenden Velofahrer eine erhöhte Sauerstoff-Transportkapazität und waren deshalb zu grösseren Ausdauerleistungen befähigt.

Aufgrund ihrer Schädigung können bei Movie die Nieren zuwenig EPO bilden, was zu einer stark reduzierten Menge an roten Erythrozyten im Blut führt. Entsprechend fehlt bei Belastung schlicht insbesondere dem Hirn "die Luft" (respektive der Sauerstoff), was zu den Kollapsen führte. Die Injektion von künstlichem EPO (Darbepoetin) hat bei Movie erfreulicherweise zu einer Stabilisierung der Menge der Erythrozyten im Blut und damit einem Verschwinden der Symptome geführt.

Update Dezember 2024: Kürzlich wurde uns Movie vorgestellt, weil sie vermehrt erbrach und keinen Appetit mehr zeigte. Leider zeigte eine Blutuntersuchung, dass die Nierenwerte stark gestiegen sind und begonnen haben, entsprechende Symptome zu verursachen. Nach 3 Tagen intravenöser Infusion geht es dem Hund aktuell aber wieder deutlich besser; wir hoffen, dass dies auch noch ganz lange so bleibt.


© Dr. med. vet. P. Müller / Lyssbachvet

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Im Laufe ihres Lebens hatte uns Madison schon einzelne Male wegen Magen-Darm-Beschwerden besucht - meist zeigte sie während der Episoden Durchfall, Erbrechen und verminderten Appetit, was sich aber unter medikamenteller Therapie jeweils schnell wieder legte. Diesen Sommer wird uns Madison vorgestellt, weil sie keinen Appetit mehr hat. Wenn die Hündin frisst, dann nur nach gutem Zureden durch die Besitzer oder wenn das Futter an anderen Orten oder zu anderen Zeiten vorgesetzt wird. Erbrechen zeigt der Hund nicht, auch der Kot ist unauffällig, beim Kauen zeigt Madison keine Schmerzen.
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